“It`s just in your head”

Wie Christian in Frankfurt a.M. zum Ironman wurde

Schaffe ich es, 3,8 Kilometer im offenen Gewässer zu schwimmen, rund 180 Kilometer Rad zu fahren und anschließend noch 42,195 Kilometer zu laufen, idealerweise an einem Stück, ohne Gehpausen und mit Zieleinlauf vor Einbruch der Dunkelheit? Eine Frage, die mich seit meinem ersten Triathlon vor vier Jahren beschäftigt. Um eine Antwort darauf zu finden, habe ich es nach rund acht Monaten Vorbereitung beim Frankfurt Ironman (endlich) ausprobiert.

Am Donnerstagabend komme ich in der Mainmetropole an. Noch spüre ich weder auf der Straße noch im Hotel die oft beschworene Atmosphäre und das Kribbeln, was so ein Event auszeichnen soll. Auto ins Parkhaus, im Hotel einchecken, rauf aufs Zimmer und Koffer auspacken – noch fühlt es sich an wie ein Urlaub oder eine Geschäftsreise, auch wenn die Unmengen an Sportsachen und -verpflegung doch eher außergewöhnlich sind. Die nächsten eineinhalb Tage habe ich – abgesehen von einer kleinen Ausfahrt mit dem Rad und 20 Minuten laufen – nicht viel zu tun und doch verfliegt die Zeit wie im Flug. Ich bin als einer der Ersten Freitagmorgen bei der Registrierung, schaue mir die Laufstrecke an, versuche im Waldsee zu schwimmen (was allerdings nicht klappt, da ich weder Online-Ticket noch Handy dabei hab) und überprüfe (gleich mehrfach) mein Rennrad. Das Athleten-Briefing am Freitagnachmittag ist eine willkommene Abwechslung, auch wenn die Infos spärlich, dafür aber das Marketing beachtlich ist. Gut informiert, klappt die Abgabe der Lauf- und Radbeutel sowie das Einchecken des Rades am Samstag reibungslos. Da ich für Letzteres an den Langener Waldsee rausfahren muss, schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und bekomme nun doch noch mein „Warmschwimmen“ im ohnehin warmen See – und obendrauf noch eine Weisheit, die mich am folgenden Renntag begleiten wird. Beim gegenseitigen Schließen des Neoprenanzugs komme ich mit einem englischsprachigen Teilnehmer ins Gespräch, der mich auf meine Bemerkung, froh über die (voraussichtliche) Neopren-Freigabe zu sein, gütig anlächelt und sagt: „It`s just in your head, my friend“. Stimmt, denke ich, genauso ist es. Wenn ich 3,8 Kilometer durch einen See schwimmen kann, kann ich ja nicht so ein schlechter Schwimmer sein, oder? Gut gelaunt, nehme ich die Botschaft mit ins Hotel, nicht wissend, wie oft ich sie mir am nächsten Tag noch selbst mitteilen werde.

Rennen vor dem Rennen

Am nächsten Morgen klingelt um 3:30 Uhr der Wecker, pardon, er klingelt doch nicht. Meine innere Uhr hat mich schon um 3:15 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Anziehen, Getränke anrühren und dann runter zum Frühstück. Maria, die gestern mit dem Zug angekommen ist, und ich sind um 3:45 schon im Speiseraum, aber die Hütte ist bereits voll. Es wird gegessen und getrunken, was das Zeug hält, schließlich werden wir alle heute unsere 10.000 Kalorien brauchen bzw. verbrauchen. Anschließend noch ab ins Zimmer, die Verpflegung anrühren und einstecken und dann geht es schon los. Nach zehn Minuten sind wir am Bus, nach weiteren fünf sitzen wir drin und ab geht`s. „Ist ja fast wie beim Hermann“ denke ich, doch dann wird es schwierig. Die Zufahrt zum See ist eng und z.T. nur einspurig befahrbar. Es zieht sich und nach einer halben Stunde Verzögerung macht sich eine spürbare Nervosität im Bus breit. Aber kurz vor 6 Uhr sind wir da und können nochmal zu unseren Rädern. Luft aufpumpen, Verpflegung ans Rad, Zeitchip an den Knöchel…… Und genau jetzt fängt das Elend an: Der Zeitchip ist nicht im Beutel! Wer weiß, wo ich ihn gelassen habe, aber finde ich ihn nicht. Erster Gedanke: Alles ist vorbei, bevor es überhaupt losgegangen ist. Zweiter Gedanke: Das darf nicht sein, bei den Mühen und Anstrengungen der letzten Monate. Dritter Gedanke: Offiziellen suchen! Ich renne los und schnappe mir die erstbeste Person mit einer gelben Weste. Das ist zufällig die Oberschiedsrichterin, die uns im Athletenbriefing noch als sehr strenge Person beschrieben wurde. Ich klage mein Leid und frage, was zu tun ist. Nach einem mitleidigen Blick – „Wie kann man sowas

vergessen“? – verrät sie mir aber doch, dass ich am Infostand einen Ersatzchip bekomme. Einziges Problem: Der macht in fünf Minuten dicht, ebenso wie die Abgabestelle für die Kleiderbeutel. Also los, Warmschwimmen fällt aus, jetzt geht`s nur im Sprint. Schwimmsachen aus dem Beutel, alles andere in den Beutel und ab damit. Dann direkt weiter zum Infostand, wo ich tatsächlich noch einen netten Mann erwische, der mich mit einem Chip versorgt. Um 6:14 Uhr, eine Minute vor Torschluss, habe ich nun doch alles beieinander und es kann tatsächlich losgehen.

Der Wettkampf

Wahrscheinlich war es der Stress vorher, der dafür sorgt, dass ich am Schwimmstart super entspannt bin. Im Rolling-Start-Modus gehen wir ins Wasser und im Gegensatz zu den letzten Wettkämpfen ist das Schwimmen wirklich schön. Wahnsinn! Vor einem Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass ich die Distanz überhaupt schaffe und jetzt genieße ich es regelrecht. Ich bin so entspannt, dass ich nach ca. 3.000 Meter eine Tonne nicht sehe und erstmal meinen eigenen Weg suche. Nach 2-3 Minuten wird mir aber klar, dass man in einem Wettkampf mit über 3.000 Startern nicht so allein seine Bahnen ziehen kann. Tatsächlich halten die Kollegen knapp 40 Meter weiter rechts auf eine Tonne zu, die ich glatt übersehen hatte. Also wieder rüber und weiter. Aber selbst das bringt mich heute nicht aus der Ruhe. „It`s just in your head“ denke ich und muss mir ein Lachen verkneifen, was im Wasser ja nie so gut kommt.

Nach 1:25:00 Uhr steige ich raus. Wo andere die Hände über den Kopf zusammenschlagen, freue ich mich wie ein König. Eben noch Maria zuwinken, dann ab in die Wechselzone. Ich nehme mir ein wenig Zeit – um bloß nichts wieder zu vergessen! – und dann geht`s los. 182 Kilometer liegen vor uns mit 1.680 Höhenmeter. Dazu kommt unerwartet in der zweiten Runde noch ein böiger Seitenwind, der allen Teilnehmern zu schaffen macht. Als wenn der Hühnerberg, „The hell“ mit seinen Kopfsteinpflasterpassagen oder die zähe Steigung „The beast“ nicht schon genug Herausforderung wäre. Da hilft nur konstant fahren und verpflegen, verpflegen, verpflegen. Dennoch fällt der Kilometerschnitt von 32 km/h auf 30 km/h in der zweiten Runde, auch weil die Strecke länger ist als angeben. Erst nach 184 Km hänge ich das Fahrrad in den Ständer und bereite mich im Wechselzeit aufs Laufen vor. Um 14:45 Uhr mache ich mich auf den Weg, den ich in der Vergangenheit schon so oft gelaufen bin, aber nie mit der Vorbelastung von 7:45 Stunden Wettkampf. Das (hochgegriffene) Ziel, unter 11 Stunden zu bleiben, kann nicht mehr klappen, aber einen guten Marathon will ich schon noch laufen.

Am Rande der Disqualifikation

Nach 2-3 Kilometer habe ich meine Pace gefunden und laufe konstant im Fenster 4:50-5:00 Minuten. Doch bei Kilometer 20 merke ich, dass selbst das heute schwierig werden wird. Jetzt muss Plan B greifen. Ab Kilometer 25 verpflege ich mich alle 5 Kilometer nicht mehr im „Vorbeilaufen“, sondern gehe schnellen Schrittes an der Verpflegungsstellen vorbei und schütte mir Wasser mit Salz und Iso rein, sauge drei Orangenscheiben aus und drücke mir Schwämme über dem Kopf und Oberschenkeln aus. Ein Ritual, was mich jeweils 30 Sekunden kostet, aber tatsächlich hilft. Der Schritt ist konstant bei 5 Minuten den Kilometer und manchmal sogar wieder darunter. So geht es flott bis in die letzte Runde, als mir dann doch noch ein letzter, aber fast katastrophaler Bock unterläuft. Nach dem 35-KM-Verpflegungsstand werde ich den recyclebaren Trinkbecher nicht mehr in der Litterungszone los (nur hier darf der Müll hin). Ich laufe noch einen Kilometer mit dem Ding in der Hand. Als ich an eine Stelle komme, wo sich der Müll nur so türmt, entledige ich mich doch des Bechers, um es 15 Sekunden später schon zu bereuen. „Christian, hast Du eben deinen Becher weggeworfen?“ höre ich eine strenge Stimme hinter mir. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass hinter mir ein Marshall mit seinem Bike fährt, er meinen Namen der Startnummer entnommen hat und Littering ein Grund für eine Disqualifikation ist. Aber tatsächlich gelingt es mir, nach 10:45 Stunden Sport einen

klaren Gedanken zu fassen. Ich schildere ihm, dass mir der Becher versehentlich aus der schweißnassen Hand geglitten sei. Ich bin mir sicher, er glaubt mir nicht, aber nach dem durchaus ernstgemeinten Hinweis, dass er mich eigentlich aus dem Rennen nehmen müsste, lässt er Gnade vor Recht walten und mich weiterlaufen – zunächst allerdings rund 100 Meter wieder zurück, um den Becher aufzuheben und mit mir zu nehmen. Er begleitet mich noch ein wenig – Kontrolle ist ja bekanntlich besser als Vertrauen –, und wird mir beim kurzen Schnack fast ein wenig sympathisch. Die letzten fünf Kilometer absolviere ich dann aber ohne Begleitschutz.

 

Auf dem roten Teppich ist dann auch noch eine Falte im Teppich im Weg, die mich fast zum Stürzen bringt, aber zur Not wäre ich die letzten 60 Meter auch im Handstand ins Ziel gekommen. Nach 11 Stunden und 19 Minuten überquere ich die Ziellinie – leidlich gesund, auf meinen beiden Beinen und überglücklich. Ich bin 29. In meiner Altersklasse und habe noch die drittbeste Marathonzeit rausgelaufen (3:30:00 Stunden). Den Blick aufs Gesamtklassement schenke ich mir. Ob Nr. 980 oder 1.243 – ich bin jetzt ein Ironman, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vielleicht mache ich den Spaß auch nächstes Jahr nochmal, aber für 2023 ist erstmal genug. Jetzt brauchen Körper und Geist erstmal Pause und Regeneration. Aber wie heißt es so schön? „Alles, was gut ist, kommt wieder.“ Also schauen wir einfach, was die Zukunft bringt. Schließlich bin ich erst 55 Jahre alt. Da ist noch jede Menge Luft nach oben – zumindest aber 28 Plätze 

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