Auf der Suche nach dem Lauf des Lebens, ließ ich mich ganz gegen meine sonstigen läuferischen Gewohnheiten von den beeindruckenden Zahlen leiten und startete am 13. Mai beim Göteborgsvarvet, dem zeitweise größten Halbmarathon der Welt!

Da Stimmung auch im sehr einsamen Schweden nun mal meist mit Masse zu tun hat, musste es doch in der am Kattegat gelegenen Hafenstadt irgendein besonderes, magisches Momentum geben. Das sich diese Vermutung ausgerechnet in einem nur kleinen Detail offenbaren sollte, gehört zu den Erlebnissen, die wir als Läufer so sehr schätzen und suchen. Aber der Reihe nach.

Laufen im Schärengarten

Nach unzähligen Sommerurlauben in Schweden, hatte ich felsenfest mit 10 Grad und Nieselregen gerechnet, um mein läuferisches Highlight mit einer günstigen Zeit krönen zu können. Nun gut, die Witterung war zwar für das zu erwartende Volksfest paradiesisch, für uns Läufer jedoch eine Qual, einfach viel zu schön. Schwedens Wetter ist häufig viel besser als sein Ruf. Da zudem das Profil der 150 Höhenmeter mit seinen vielen Zacken einem missratenen EKG gleicht, verschwanden alle Gedanken an Bestzeiten genauso wie die Silhouetten der Segelboote am Horizont des Kattegats. Kein Wunder, Göteborg ist Teil des felsigen Schärengartens und darüber hinaus hat allein die ansehnliche Älvsborgsbron reichlich Höhenmeter, die erklommen werden wollen. Sie bietet für uns Läufer zwar eine schöne Aussicht, aber fordert ihren Tribut.

Startparty

Mit fast 40.000 Meldungen war für eine ausführliche Startzeremonie gesorgt. 25 Startgruppen wurden über drei Stunden in einer tollen Choreographie zur Startlinie geführt. Eine Sportlergruppe auf der meterhohen Bühne animierte erfolgreich unablässig zum rhythmischen Klatschen und Aufwärmübungen, natürlich musikalisch passend begleitet. Derartig motiviert wurde man nach dem Startsignal von einem nicht enden wollenden Zuschauerspalier empfangen. Man stelle sich, von wenigen Ausnahmen wie den Brücken abgesehen, die Promenade beim Hermannslauf auf 21 Kilometern vor. Für Stimmung sorgten an den zahlreichen Hotspots natürlich auch ganz unterschiedliche Bands und DJs sowie private Partys. Moderierte und musikalisch begleitete Zwischenstationen mit Torbögen bei Km 5, 10, 15 und 20 boten ebenfalls eine willkommene Unterstützung.

 

Zu Gast bei 200.000

Die Strecke führt zunächst durch Göteborgs Schlosswald, über die erwähnte Älvsborgsbron immer entlang des im Wandel befindlichen Hafengebietes. Nur ein kleines Highlight unter vielen anderen ist, dass man über den Hof des alt ehrwürdigen Herstellers Hasselblad läuft, der die Mondkamera gebaut hat. Ein Sehnsuchtssort für jeden engagierten Hobbyfotografen. Das mindestens die angekündigten 200.000 Zuschauer heute vor Ort waren, konnte man dann auf der berühmten, dem Champs-Élysées nachempfunden Kungsportsavenyen in der Innenstadt erleben. Sie führt die Läufer zunächst direkt auf das Kunstmuseum zu und dann in Gegenrichtung am Konzerthaus vorbei wieder aus dem Zentrum heraus. Hier gab es keinen freien Platz mehr. Ob stehend am Straßenrand oder in den überfüllten Restaurants, von überall wurden die Läufer bei strahlendem Sonnenschein in Empfang genommen. Das war eigentlich nicht mehr zu steigern, oder doch? Nach drei Torbögen allein auf dem letzten Kilometer erfolgt der Zieleinlauf entlang der tatsächlich vollbesetzten Tribüne des just vor 100 Jahren eröffneten Slottskogsvallen Stadions. Eine Rarität in unserem Laufsport (lobenswerte Ausnahmen: Frankfurt und Köln), die zuverlässig für sehr bewegende Momente sorgt.

 

Varvet

Das erwähnte Momentum dieses Laufes ist schon in seinem Namen verborgen. Varvet bedeutet soviel wie im Schoße der Stadt und steht auch für eine Werft. Beides trifft es auf den Punkt! Der auch durch die Werften geprägte Göteborgsvarvet ist eben nicht nur ein Volkslauf mit Zuschauern, sondern ein durch die See gekennzeichnetes, städtisches Volksfest mit Volkslauf. Und wo war nun das erwähnte persönliche Momentum? Es hat mit dem Spaß der Göteborger an Wortspielen zu tun und hängt auch mit ihrer sprachlichen Sonderrolle in Schweden zusammen. Von Nord nach Süd wird das "R" als Ergebnis einer Lautverschiebung zunehmend weniger verschluckt, bis es ausschließlich in Göteborg laut vernehmlich gerollt wird. Die Göteborger hatten also Spaß an meinem Vornamen, so dass ich mehrfach von den Zuschauern, den

Moderatoren an den Zwischenstationen und beim Zieleinlauf lauthals mit einem langen Rrrrrainerrrr begrüßt und angekündigt wurde. Offensichtlich ein großes Vergnügen, auf diese Weise die regionale Eigenständigkeit zu unterstreichen.

 

Noch im Ziel konnte es deshalb keine Zweifel mehr darüber geben, was wir als Läufer wirklich brauchen und wonach wir suchen: Volksfest mit Lautverschiebung.

 

Weitere Informationen unter: www.goteborgsvarvet.se