Gesucht war diesmal eine würdige Kulisse, für ein rundes Kapitel (300. Veranstaltung)  in meinem schon zu stattlicher Größe angewachsenen Volkslaufkompendium. Schwierige Sache, denn so richtig ist mir immer noch nicht klar, warum ausgerechnet dieses sportliche Ereignis eine so unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausübt, so dass ich seit Jahren im Wochentakt immer wieder über die Startlinie hüpfe. Und ich bin wahrhaftig nicht der Einzige mit dieser Leidenschaft.

"Nautisch karakter"

Der Jubiläumslauf sollte selbstverständlich genau die ultimativen Eigenschaften eines Lauferlebnisses auf sich vereinen, zu denen ich nun mal nicht „Nein“ sagen kann. Die Wahl fiel letztlich auf den Texel Halbmarathon, jenes Uniek loopevenement met nautisch karakter auf der größten friesischen Insel. Aber ehrlich gesagt, es war mehr als offen, ob dieser Lauf die gesuchten Antworten würde liefern können. Vielleicht würde ich am letzten Sonntag im September dieses Jahres genauso glücklich, aber letztlich immer noch ratlos im Ziel stehen und lediglich einen unspektakulären Haken an der Sache machen, wie bei den vorherigen 299 Läufen.

Man braucht nicht viel Phantasie, um das zitierte Motto des Texel Halve Marathon auch ohne jegliche Kenntnisse der Sprache unserer Nachbarn zu verstehen. Ein Lauf, der durch und durch maritimes Flair versprüht. Nicht nur symbolisch, sondern ganz handfest trägt dabei der gesamte Lauf die Handschrift der Texel-Fähre, da sie einzigartiger Teil des Wettkampfes ist. Es ist schon ein einmaliges Gefühl, gemeinsam mit einer unübersehbaren Läuferschar direkt aus dem Bauch der Fähre heraus zu starten. Dabei trägt zum Spaß nicht unerheblich bei, dass eigentlich zuvor jeder der möchte, von Texel aus mit einer Sonderfahrt die restlichen Starter vom Festland abholen und schon mal vorab feiern kann. Von Den Helder aus steigt nämlich auch die dortige Blaskapelle zu und verwandelt das riesige Autodeck in eine Volksfest-Arena. Nach 20 Minuten Rückfahrt wird es dann aber doch ernst, wenn sich die riesige Bugklappe hebt und den Blick auf die frenetisch anfeuernden Zuschauer am Hafengelände freigibt. Jetzt dauert es nur noch wenige Augenblicke bis der Kapitän höchstpersönlich das ohrenbetäubende Schiffshorn als Startsignal minutenlang ertönen lässt. Eigentlich! Denn der kleine Schönheitsfehler in dieser Dramaturgie war in diesem Jahr, dass die vorgesehene Fähre defekt zur Reparatur im Dock lag. Wenige Tage zuvor, streikte auf der hochmodernen Texelstroom tatsächlich die gesamte Technik und das Schiff trieb dunkel und manövrierunfähig im Wattenmeer. Zum Glück ist niemand zu Schaden gekommen, aber allen wurde schlagartig die Bedeutung dieser Verbindung bewusst. Dennoch war der Start durch die wesentlich schmalere Passage des Nebendocks auch so dass emotionale Highlight. Die neue Streckenführung war zudem überaus gelungen, da sie die landschaftlichen Reize der Insel gekonnt in Szene setzte

Weggabelung

Die erste Stimmungshochburg wartet schon nach ca. 4 Kilometern im kleinen Dörfchen Den Hoorn, welches als weithin sichtbare Landmarke mit einem strahlend weißen Kirchturm begeistern kann. Die 10 Km-Läufer zweigen an dieser Stelle schon in Richtung des Zielortes Den Burg ab, die 6 Km-Läufer starten dort erst. Nur die Halbmarathonis laufen von Den Hoorn aus direkt zum Strand, vorbei an einem langgezogenen Seengebiet, in dem die Sonne glitzert und zahllose Wasservögel es sich gut gehen lassen. Über immerhin zwei Kilometer kann man nach dem Aufgang beim Strandrestaurant Paal 9 den weiten Strand der Insel genießen. Bei strahlendem Sonnenschein und nur leichtem Gegenwind kann es keine schönere läuferische Begegnung mit unserer geliebten Nordsee geben. Kurze Zeit später zeigt die Insel ein ganz anderes Gesicht, denn die Strecke verläuft über viele Kilometer durch den naturbelassenen Kiefernwald De Dennen, der immer wieder von kleinen Kanälen und Teichen durchzogen wird. Im Frühjahr können hier sogar Orchideen bewundert werden. An vielen Ecken haben sich im Schatten der Bäume Zuschauer versammelt, um die Läuferinnen und Läufer lautstark zu unterstützen. Darunter auch ein meterhoher Schneemann, der wohl auf die Vorzüge eines Winterurlaubs auf dieser Insel hinweisen soll. Sogar über einen der zahlreichen Campingplätze (‚t Woutershoek) führt der Kurs, bevor man auf den typischen, langgezogenen Radwegen nach Den Burg gelangt, welches als quierlige aber doch urgemütliche gute Stube der Insel gelten kann. Am Dorfeingang heizt uns abermals die schon bekannte Blaskapelle wieder ein, bevor man nach wenigen Metern in Richtung Groenplaats einbiegt, über den das Zielbanner gespannt ist.

Blick auf die Dinge

Noch unter dem Eindruck der faszinierenden Landschaft war im Ziel für mich klar, dass das 300. Kapitel endlich die lange gesuchten Antworten enthalten wird. Das hatte ich schon beim Start geahnt. Mit der Fähre verlassen wir das gewohnte Festland und erhalten den symbolischen Anstoß für das Spiel, auf einem besonderen Fleckchen Erde unsere Zeit ungehemmt mit einem sorglosen, anderen Blick auf die Dinge zu füllen. Wenn das Volk läuft, läuft es mit diesem anderen Blick auf die Dinge, eben echt: Fähr-Play!

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