Bekanntlich ist die Premiere des Grafschaftslaufs der allgegenwärtigen Pandemie zum Opfer gefallen. Er soll zwar am 29. August 2021 nachgeholt werden, aber man weiß ja nie. So habe ich die Strecke einfach mal vorab getestet, um einen anstehenden langen Lauf - frei nach dem Motto des Grafschaftslaufs „Laufend Geschichte erleben“ - etwas unterhaltsamer zu gestalten.

Die Grenzen des Laufens

Die ehemalige Grafschaft Rietberg gehörte bis zu ihrer endgültigen Auflösung zu den zeitweise immerhin 43 selbständigen Territorien im „deutschsprachigen Raum“, deren Namen mit einem „R“ beginnen. Natürlich standen aber auch noch reichlich andere Buchstaben zur Verfügung, so dass es hunderte Territorien gab. Ein Läuferleben hätte sich damals also wortwörtlich in engen Grenzen abgespielt. So hätte zum Beispiel ein Rietberger für die Teilnahme am Hermannslauf ins feindlich gesonnene Fürstentum Lippe von Schloss Holte aus offiziell einreisen müssen. Mit allem Schnick und Schnack eines Grenzübertritts. Umso charmanter ist es, dass die Veranstalter als Zeichen der Freundschaft nun für alle angemeldeten Hermannsläufer 2020 einen kräftigen Rabatt von 30% auf die Startgebühr geben.

29 Kilometer Geschichte

Ausgangspunkt der historischen Läuferreise ist treffenderweise das ansehnliche Gut Rietberg. Ein gewisser Friedrich Ludwig Tenge, seines Zeichens wohlhabender Kaufmannssohn war auf der Suche nach einer interessanten Geldanlage und einem Adelstitel. Er hat nicht lange gefackelt und die Grafschaft Rietberg 1822 gekauft und dadurch das nette Objekt sozusagen zufällig erworben. Zudem ist das Gut auch deshalb eine denkbar würdige Kulisse für den Start des Grafschaftslaufs, da sein Nachfahr Schirmherr der ganzen Veranstaltung ist.

Von der wunderschönen Allee aus geht es durch die historische Altstadt von Rietberg, vorbei an dem sehenswerten Haus Münte, bis zur unangefochtenen Hochburg der hiesigen Geflügelzucht, dem Ortsteil Westerwiehe. Das dann folgende Steinhorster Becken erinnert zwar an verlorengegangene Naturräume aus alten Zeiten, aber an sich ist die Sache wenig „historisch“, sondern als Naturschutzgebiet eine eher moderne Erfindung. Man folgt anschließend mehr oder weniger ausschließlich Wirtschaftswegen, die erahnen lassen was in der Grafschaft Rietberg damals wirklich die Hauptbeschäftigung war: die Landwirtschaft. Von allen Seiten sind die zu stolzen Anwesen umgebauten Reste der Höfe ehemaliger Voll-, Halb- und Viertelmeier zu sehen.

Da Religion offensichtlich auch sehr wichtig war, führt die Strecke nach der Ostwestfalenhalle in Kaunitz, direkt zur dortigen Kirche. Der landschaftlich schönste Teil folgt dann mit dem Abschnitt von Liemke zum Jagdschloss Holte. Er verläuft durch den Holter Wald, quasi ein großer Garten des ehemaligen Landesherrn. Die matschigen Waldwege lassen erahnen, wie beschwerlich das asphaltlose Fortkommen zu dieser Zeit gewesen sein muss. Im wahrsten Sinne krönender und würdiger Abschluss des Grafschaftslaufs bildet nach nicht ganz 30 KM eben das Schloss Holte selbst. Die Kutsche kam im Übrigen nach mir an!

Läuferfazit: Der Grafschaftslauf macht die Tür ganz beiläufig auf zu unserer regionalen Geschichte. Dafür von Herzen – meine Verehrung!

Die grobe Streckenbeschreibung der Veranstalter und weitere Informationen finden sich unter www.grafschaftslauf.de.

Um unsere Website optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Website stimmst Du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen hierzu findest Du in der Datenschutzerklärung.